Wie eine Reise mit meinem Vater unsere Beziehung geheilt hat
Wie eine Reise mit meinem Vater unsere Beziehung geheilt hat
4/9/20254 min read
Part 1: Schweigen auf dem Beifahrersitz
Ich weiß nicht, wann genau mein Vater und ich aufgehört haben, miteinander zu reden.
Vielleicht war es nicht ein Moment, sondern viele kleine: unausgesprochene Dinge, Enttäuschungen, Missverständnisse.
Wir waren nie zerstritten im klassischen Sinn. Wir funktionierten nebeneinander. Höflich, ruhig, distanziert.
Er war da – aber irgendwie nie wirklich da.
Und dann kam die Idee, die gleichzeitig absurd und notwendig klang:
Eine gemeinsame Reise.
Zwei Wochen mit dem Auto durch Südfrankreich. Nur er und ich.
Keine Ahnung, warum ich es vorgeschlagen habe. Vielleicht, weil ich hoffte, dass das, was uns früher verbunden hatte – Roadtrips, Natur, gute Musik – uns wieder näherbringen könnte.
Vielleicht auch, weil ich wissen wollte, ob es noch was zu retten gab.
Die ersten Tage waren… seltsam.
Wir sprachen über das Wetter, die Route, das Abendessen.
Alles andere blieb im Auto, zwischen uns, im Raum.
Aber etwas veränderte sich, ganz leise.
An einem Abend, irgendwo in den Pyrenäen, saßen wir auf einem Felsen. Die Sonne ging unter, die Luft war still. Und mein Vater sagte plötzlich:
„Weißt du noch, wie du als Kind immer Angst hattest, dass ich dich vergesse?“
Ich war sprachlos.
Nicht, weil ich mich nicht erinnerte – sondern weil ich nie gedacht hätte, dass er sich erinnert.
Und da war er.
Mein Vater.
Nicht der stille Mann am Esstisch. Sondern der Mensch, der mich vielleicht nie vergessen wollte – sondern nur nicht wusste, wie man’s zeigt.
Part 2: Zwei Männer auf der Suche nach Nähe
In den Tagen danach redeten wir mehr. Anders. Ehrlicher.
Nicht durchgestylt wie in einem Film, sondern mit Pausen, Gestotter, manchmal Tränen in der Stimme.
Wir erzählten uns Geschichten, die wir nie geteilt hatten.
Er sprach über seine Kindheit – eine Seite, die ich nie kannte.
Ich sprach über meine Ängste, meine Unsicherheiten. Und er hörte zu. Zum ersten Mal richtig.
Wir lernten, uns neu zu sehen. Nicht als Vater und Sohn mit einer Geschichte, sondern als zwei Menschen, die sich verloren hatten – und sich wiederfinden wollten.
Wir lachten über Kleinigkeiten.
Tanzten zu einem alten Song an einer Tankstelle.
Schwiegen manchmal auch, aber diesmal fühlte es sich nicht leer an – sondern vertraut.
Als wir nach Hause kamen, war nichts spektakulär anders.
Aber ich wusste: Die Reise hatte eine Tür geöffnet. Eine, die lange verschlossen war.
Seitdem telefonieren wir öfter.
Nicht immer lang. Aber ehrlich.
Und manchmal sagt er: „Ich bin stolz auf dich“ – und ich weiß, er meint es.
Part 3: Was bleibt, wenn der Urlaub vorbei ist
Wenn eine Reise zu Ende geht, bleibt oft dieses seltsame Gefühl, irgendwo zwischen Wehmut und Erleichterung.
Die Tage, die sich wie ein kleiner Ausnahmezustand angefühlt haben – fern vom Alltag, fern vom Gewohnten – sind plötzlich vorbei.
Und dann steht man wieder da, mitten im Leben, mit einem Koffer in der Hand und der Frage: Hat sich wirklich etwas verändert?
Im Fall dieser Reise mit meinem Vater war die Antwort ein leises, aber tiefes Ja.
Was geblieben ist, war nicht nur die Erinnerung an schöne Orte oder besondere Momente.
Was geblieben ist, war eine neue Form von Verständnis.
Ein ruhiges, warmes Wissen darum, dass wir nicht mehr dieselben waren – nicht er, nicht ich, und schon gar nicht wir beide zusammen.
Früher habe ich mich oft gefragt, warum ich mich in seiner Nähe manchmal fremd fühlte, obwohl wir so nah verwandt sind.
Jetzt begreife ich, dass ich von ihm etwas erwartet habe, was er selbst nie gelernt hat zu geben: offene Gefühle, große Worte, sichtbare Wärme.
Ich habe ihm vorgeworfen, still zu sein – aber ich habe nie gefragt, wovor er vielleicht geschwiegen hat.
Auf unserer Reise habe ich erkannt, dass mein Vater nicht gefühlskalt ist, sondern einfach vorsichtig.
Dass hinter seinem Schweigen oft Gedanken stecken, die er nur nie ausgesprochen hat, weil ihm niemand beigebracht hat, wie man das macht.
Und ich habe gemerkt, wie viel Liebe in kleinen Gesten steckt – in einem frisch gemachten Frühstück, in einem Blick aus dem Augenwinkel, der mehr sagt als tausend Worte.
Es wäre schön, wenn ich sagen könnte, dass nach der Reise alles perfekt war.
Dass wir jetzt regelmäßig tiefsinnige Gespräche führen oder uns plötzlich umarmen, als wäre es das Normalste der Welt.
Aber das wäre nicht ehrlich.
Was sich verändert hat, ist subtiler – aber vielleicht gerade deshalb so kostbar.
Wir telefonieren manchmal. Nicht oft, nicht lang.
Aber wenn wir sprechen, dann höre ich ihm wirklich zu.
Und ich weiß, er hört auch mir zu – nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen.
Er fragt, wie es mir geht. Und wenn ich „gut“ sage, fragt er nochmal nach.
Ich schicke ihm jetzt Fotos, auch wenn sie banal wirken.
Und er antwortet, manchmal nur mit einem Daumen hoch, manchmal mit einem kurzen Satz, der mich trotzdem tief berührt.
Denn ich weiß: Für ihn ist jeder dieser Sätze ein kleines Fenster, das er für mich öffnet.
Ich habe aufgehört, darauf zu warten, dass er sich verändert.
Stattdessen habe ich angefangen, ihn neu zu sehen – nicht als Vater, der mir etwas schuldig ist, sondern als Mensch mit eigener Geschichte, eigenen Ängsten, eigener Sprache der Liebe.
Und vielleicht ist das die größte Erkenntnis dieser Reise:
Dass Heilung nicht immer ein großes, dramatisches Ereignis ist.
Manchmal ist sie einfach nur die Entscheidung, einander wieder zuzuhören.
Sich nicht mehr hinter alten Rollen zu verstecken.
Und mutig zu sagen: Ich will dich verstehen.
Auch jetzt, viele Monate später, denke ich oft an die Abende in Südfrankreich zurück.
An das Licht, das durch die Bäume fiel.
An das Schweigen, das sich plötzlich nicht mehr schwer anfühlte.
Und an das Gefühl, dass zwischen uns – meinem Vater und mir – etwas Neues gewachsen ist.
Langsam. Still. Und wunderschön.......
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